Journal

Krampus Du

Dec 5, 2020

Der Herbstbeginn war nicht schön. Die Clubs bleiben bis auf weiteres geschlossen, keines der geplanten Konzerte darf stattfinden. Ein grosser Teil der investierten Vorarbeit verpufft. Überall vertrocknen Ergebnisse, gleich der verdorrenden Früchte gepflegter Rebstöcke, die als Überträger einer unsichtbaren Erkrankung nicht beerntet werden dürfen.

Währenddessen, mitten in diesem Setting einer virusbedingten vernunftverständlichen Restriktion, begibt sich im Symptom einer verwirrten religiösen Vorstellung ein junger Mann auf einen Amoklauf durch die Wiener Innenstadt. Mehr taumelnd als stürmend, kein kontrolliert funktioneller Ausdruck, keine Sublimierung. Gescheitert am sinnvollen Erwachsenwerden in einem kulturellen Spannungsfeld. Womöglich Frustration und offensichtliche Blindheit für kommende Jahrzehnte voller Möglichkeiten sich eine Bahn für die Zukunft zu zimmern.

Auch die Reaktionen sind grausam. Der junge Mann wird am Ende seiner Tat erschossen. Todesstrafe gibt es in diesem Land keine, es war als situationsbedingte Erforderlichkeit verständlich. Das Ergebnis wird jedoch nicht als gesellschaftliches Scheitern im Sinne einer methodischen Gewaltprävention und Integration bewertet. Stattdessen bekommen die Polizisten für die Tötung des verwirrten Mörders goldene Medaillen verliehen. Die öffentliche Inszenierung mutet martialisch an. Ihre Gesichter sind mit Sturmmasken verhüllt. Sie erinnern mich an mittelalterliche Henker. Man zeigt keinen Anflug von Trauer darüber, dass man zu derart drastischen Mitteln greifen musste. Es bleibt bei einer Belohnung, bei einem positiven Verstärker für einen realen Akt der Gewalt gegen einen Menschen. Ich frage mich, wie die Gesichter unter den Hauben aussehen.

Es sind viele Menschen, die sich abgrenzen. Aber nicht von der Gewalt. Sondern vom Täter.
Sie nennen den Täter ein Oaschloch. Sie sagen ihm, er solle verschwinden, er solle “sich schleichen”.
Im Wissen, dass dieser längst erschossen in einem Kühlhaus liegt.
Sie erfinden einen Slogan: “Schleich Dich, Du Oaschloch”, und sie stellen diesen Slogan in einen patriotischen Kontext. Sie sagen “So sind wir, so ist unsere Stadt, dieser Slogan, er steht für uns, das ist unsere Seele”.
Sie sagen, Sie möchten mit diesem Slogan Identität und Gemeinsamkeit, Solidarität schaffen. Weit über die Notwendigkeit persönlicher Abgrenzung hinaus wird eine Sprache der Ausgrenzung geschaffen und in einen nationalen Kontext gestellt. Der Täter soll auch nicht mehr beim Namen genannt werden. Sie sagen, er soll ab jetzt nur noch “Das Oaschloch” genannt werden.

Mir fällt der Psychiater Dr. Erwin Ringel ein, der Österreich als eine Brutstätte der Neurosen und als Verdrängungsgesellschaft bezeichnet hat.

Dr. Ringel war ein Wegbereiter im Sinne der Krisenintervention und der Gewaltprävention.

Heute ist der 5. Dezember, heute kommt der Krampus, ein in Österreich willkommenes Oaschloch.

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